Gruseln, Gänsehaut und das Schreibhandwerk

Über einen meiner Endgegner beim Schreiben von Fantasy, die Chaosszene, habe ich bereist berichtet. Doch beim Überarbeiten von Hüter habe ich einen neuen, zweiten Endgegner gefunden: Gruselszenen.

Gut, um es vorwegzunehmen, ich rede hier nicht von Szenen, die eines Stephen Kings würdig wären, dass ist echt nicht mein Ding, weder als Schriftstellerin, noch als Leserin. Wovon ich spreche, sind diese Szenen, wo einem eine leichter Schauder über den Rücken läuft und man gespannt auf der Kante des Stuhls oder Sofas hockt, weil man wissen will, wie die Sache ausgeht. Ohne solche Szenen kommt man bei Fantasy genauso wenig aus, wie ohne die epische Endschlacht in der sich die Gegner ganze Welten um die Ohren hauen und Schwerter vonmysteriösen Damen an irgendwelche ahnungslosen Spaziergänger verteilt werden, ich denke das ist klar, aber, wie zum Teufel schreibt man sie?

Gute Frage.

Um das zu klären, habe ich mich auf meine vier Buchstaben gesetzt und mich damit beschäftigt, was ich schreibe, wie meine Szenen beim Leser rüber kommen, was ich meine, dass meinen Szenen fehlt und am Ende beschlossen, wenn ich die Lösung nicht in mir selbst finde, dann muss ich mich wo anders umsehen. Schließlich gibt es genug Autoren, die solchen Szenen sehr gut schreiben können, warum sich nicht also Rat von denen holen. Wenn schon nicht in Person, dann einfach über ihre Bücher. Ja, ich weiß, abkupfern ist nicht klasse, aber mal ehrlich? Die meisten lernen über nachahmen. Warum nicht also auch beim Schreibhandwerk? Es geht nicht darum, dass man die Formulierungen klauen soll oder ganze Textpassagen kopieren und übernehmen soll, nein, es geht darum, die Szenen auseinanderzunehmen, zu sehen, wie sie aufgebaut sind, welche Stilmittel eingesetzt werden, um das zu erreichen, was man erreichen möchte.

Gut, eins vorweg, was ich als Grusel bezeichne, wird bei den meisten wohl kaum eine Gänsehaut verursachen. Ich bin halt ein ziemlicher Feigling, Psychothriller und Co. sind nichts meins. Daher habe ich mich bei meiner Analyse auch nur auf Material aus der Jugendliteratur beschränkt, dass wo zwar Spannung und ein leichter Schauder aufkommt, aber einem keine schlaflosen Nächte beschert werden. Immerhin ist das genau das, was ich gern in Hüter sehen möchte. Spannende Szenen, die aber nicht zu brutal, zu dunkel sind.

Nun denn, Jugendbücher habe ich auch einige in meinem Schrank und als ich sie eins nach dem anderen Szene für Szene durchging, fing sich tatsächlich an eine Art Schema F abzuzeichnen. Offenbar gibt es einige Elemente, die in einer Gruselszene nicht fehlen dürfen, die für die richtige Stimmung sorgen. Welche das sind, will ich hier kurz vorstellen.

Aufbau der Szene und Wortwahl

Abgesehen davon, dass mir beim kritischen Lesen meiner Lieblingsjugendbücher zum ersten Mal auffiel, dass es eine Reihe von Ungereimtheiten gibt, die mir garantiert von meinem Lektor angekreidet würden, fiel mir die Wortwahl auf. Klar, als Autor / Autorin weiß man, mit Wörtern sollte man vorsichtig sein, aber hier scheint es besonders wichtig zu sein sich zu überlegen, wie und was man schreibt, doch hier fiel es mir besonders auf.

Zum einen gibt es in den Szenen eine Art roten Faden, der den Leser oder die Leserin darauf vorbereiten soll, dass jetzt gleich was passiert, das nicht sonderlich angenehm sein wird. Die Spannung steigt von Satz zu Satz. Etwas, dass nur möglich ist, wenn man sich vorher einen Plan von der Szene zurechtgelegt hat. Zweitens wird dieser rote Faden noch von den verwendeten Wörtern unterstützt und die Wörter, die da zur Anwendung kommen sind alles mögliche, außer gewöhnlich. In der Regel sind es Worte, die eine eindeutige Aussage treffen, den Leser sogar Sachen hören lassen und die eine starke Reaktion hervorrufen. Ob die Reaktion nun Angst oder auch Ekel ist, dass sei mal dahingestellt.

Einige Beispiele gefällig? Bitte.

Explosion: schon allein, wenn man das Wort ausspricht, hört man den Knall und sieht Dinge durch die Gegend fliegen.

Zerbersten: ein Verb, dass einen ähnlichen Effekt, wie Explosion hervorruft, wenn man es liest und das daher wohl kaum zu umgehen sein wird, wenn man Fantasy schreibt.

Schleudern: noch ein gutes Verb, dass den Eindruck von Schnelligkeit und Wucht vermittelt. Mind you, Wucht selbst ist auch ein gutes Wort, das den Leser / die Leserin den Aufprall geradezu spüren lässt.

Knacken: lässt den Leser ein trockenes, knirschendes Geräusch hören.

Sausen: auch hier verbindet man automatisch wieder Geschwindigkeit mit einem zischenden Geräusch.

Schimmer oder schimmernd: gaukelt dem Leser ein silbernen Streif vor

Glühend: ähnlich wie Schimmernd, aber rot–orange

Eisblau: einer meiner Favoriten, weil er nicht nur eine Farbe, sondern auch gleich einen Eindruck von Temperatur transportiert. Wenn wir die Farbe eisblau vor uns sehen, dann denken wir an Eisschollen, Eiswasser und damit auch gleichzeitig an kältere Gefilde. Im Hochsommer perfekt.

Greinen: Kommt, keiner kann mir sagen, dass er nicht automatisch ein verzogenes Gesicht vor seinem geistigen Auge sieht. Meist wirkt es auch automatisch abstoßend, nervend.

Genick: eines dieser Wörter, über die man im Alltag eher selten stolpert, es sei denn man ist Gerichtsmediziner oder Bestatter. Daher verbinden wir auch etwas eher Unangenehmes damit. Wie zum Beispiel den Strick, den Henker, den drohenden Tod.

Vermodert: Noch so ein Wort. Auch dem begegnet man im Alltag nicht allzu häufig. Moder ist ein Zeichen von Verfall oder aber Schimmelpilzen, die nicht förderlich für die Gesundheit sind. Entsprechend klar ist, dass das Wort eine Ekelreaktion beim Leser hervorruft.

Ungewöhnliche Zeiten und ungewöhnliche Orte

Seinen Lesern und Leserinnen mit seiner Wortwahl Angst einzujagen ist eine Sache, aber wenn man das noch toppen will oder muss, kommt noch ein zweites Element ins Spiel: die ungewöhnlichen Orte.

Es gibt normale Orte, die jeder von uns aufsucht, wie z.B. den Supermarkt, die Einkaufsstraße. Besonders im hellen Tageslicht. Das sind vertraute Umgebungen, die halten keine bösen Überraschungen für uns bereit und fühlen sich vollkommen vertraut an. Keine Chance, dass da jemand Gänsehaut bekommt, es sei denn...

Es sei denn man versetzt den Leser zu einer Zeit dahin, wo er diesen Ort normalerweise nicht aufsuchen würde. Eine volle Einkaufsstraße im Sonnenlicht ist eine Sache, aber durch sie hindurchzulaufen, wenn alles totenstill ist und man annimmt, die einzige lebende Seele dort zu sein…. Nun, dann sieht die Sache schon anders aus. Besonders dann, wenn man als Autor noch entsprechende Andeutungen machen kann, dass die Figuren sehr wohl nicht allein sind!

Also, um es allgemeiner zu sagen: Man kann einem Leser auch mit bekannten Orten Angst einjagen, nämlich dann, wenn man sie zu Zeiten präsentiert, wenn der Leser dort nicht sein sollte. Warum? Nun, weil das auf eine Ausnahme hinweist und Ausnahmen können durchaus für Gefahr stehen.

Natürlich schafft das Element allein noch keinen Gruselfaktor, aber in Verbindung mit den entsprechenden Worten und einer sorgfältig aufgebauten Spannungskurve, diversen Andeutungen, dass mit dem Ort etwas nicht stimmt, kann es wohl funktionieren.

Wer noch einen Schritt weiter gehen möchte, nimmt seinen Leser / seine Leserin mit an eher ungewöhnliche Orte. Welche das sind? Liegt doch auf der Hand. Alle Orte, die ein gewisses Tabu, Ausnahmezustand und potentielle Gefahr bedeuten, als da wären:

Der Friedhof und die Gruft: Die Klassiker unter den außergewöhnlichen Orten an denen man sich wiederfinden kann. Die wenigstens von uns betreten oft Friedhöfe oder machen einen Abstecher in eine Gruft es sei denn es muss sein, was meist dann der Fall ist, wenn man auf ein Begräbnis geht. Da die aber in der Regel in vollem Tageslicht und in trauter Runde der mehr oder weniger geliebten Verwandtschaft stattfinden, ist klar, dass die wenigsten von uns je einen Friedhof oder eine Gruft in der Nacht besucht haben. Die meisten von uns würden das wohl auch nicht wollen. Es reicht schon tagsüber auf den Todesacker zu gehen, ist dieser Ort doch mit dem Tabu des Todes in Verbindung zu bringen. Uns wird die eigene Endlichkeit vor Augen geführt und mal ehrlich, wer kennt sie nicht die Klischees, die sich um Friedhöfe und Grüfte ranken? Untote, Vampire, Werwölfe…. Alles in allem sagt uns unser Innerstes, dass ein Friedhof kein guter Ort für ein lauschiges Picknick nach Sonnenuntergang ist. Entsprechend hoch ist der Spannungsfaktor, wenn man seine Szene genau dort spielen lässt.


Henkers- oder Richtplatz: Zugegeben, dieser Ort ist noch ungewöhnlicher als ein Friedhof. Wo ein Friedhof noch eine gewissen Aspekt der Zivilisation vermittelt, er ist von Menschenhand angelegt, ist umzäunt, was einen gewisse Art der Sicherheit vorgaukelt (als ob Zombies nicht klettern könnten!), wird regelmäßig kontrolliert und gepflegt, da ist der Galgenbaum oder Henkersplatz einfach nur wild. Im Mittelalter wurden hier irgendwelche unglücklichen Seelen für ihre schlimmen Taten aufgeknöpft, hingen dort und schwankten im Wind, bis sie schließlich von selbst herunterfielen und oft nicht weit vom Baum begraben wurden. Dazwischen waren sie dem Wind und Wetter und den Raben überlassen. Alles an dem Bild und dem Hintergrund vermittelt Brutalität, Einsamkeit, Wut und Angst, aber auch Kriminalität. Schließlich fanden dort keine aufrichtigen Menschen ihr Ende, sondern eben Diebe und Mörder, denen die letzte Ruhe in geweihter Erde versagt blieb. Ist doch klar, dass es nicht schwerfällt anzunehmen, dass die Seelen jener nach wie vor wütend und verzweifelt sind und dort umgehen, was einem als Autor oder Autorin natürlich unmittelbar in die Hände spielt. Eine bessere Atmosphäre kann man sich kaum wünschen.


Naturlandschaften: Ob ihr es glaubt oder nicht, aber auch die Natur kann für Gänsehaut sorgen und das nicht nur, wenn man an Orte wie Höhlen oder Bergschluchten denkt, in denen es unheimlich hallt, jedes noch so kleine Geräusch um das vielfache verstärkt wird und daher vollkommen ungewohnt klingt und einen in Aufregung versetzt. Nein, auch friedliche Landschaften können mit der richten „Brille“ gar nicht mehr so friedfertig erscheinen. Das beste Beispiel dafür findet sich vielleicht in den „Blutbuchen“ von Sir Arthur Conan Doyle. Holmes und Watson sind in dieser Geschichte auf dem Weg zu einer Klientin, die in Winchester lebt. Auf der Zugfahrt dort hin, äußert sich Watson begeistert über die grüne Landschaft, die vor dem Fenster dahin fliegt. Er findet sie wunderschön. Holmes jedoch ist nicht so fröhlich. Er sagt, wenn er nach draußen sieht, bekommt er lediglich ein Gespür für die dort herrschende Isolation und daher auch für die Straflosigkeit mit der Verbrechen dort begangen werden können. Was unverklausuliert nichts anderes heißt als: Da hört dich keiner schreien. Für Holmes liegt die Sache klar auf der Hand: Isolation führt dazu, dass niemand merkt, was man tut, also … tut man, was man tun will, ohne Angst vor Entdeckung haben zu müssen. Ja, die Sicherheit nicht oder nur schwerer entdeckt zu werden, könnte sogar die Hemmschwelle senken Mord und Totschlag zu begehen. Und genau das ist, was den „Reiz“ der ungewöhnlichen Orte am meisten ausmacht. Die Isolation, die Gewissheit, dass wenn jetzt etwas passieren würde, einen niemand würde schreien und einem folglich niemand helfen würde. Die sichere Gewissheit, sich in Gefahr zu begeben, die wir eigentlich aufgrund unseres Selbsterhaltungstriebs meiden wie die Pest.

Von Sinnen wegen Stress

Nun denn, jetzt haben wir schon einiges an Elementen, die wir verwenden können, doch all das wäre sinnlos, würden den Leser nicht ein paar Sinne fehlen. Klingt komisch? Ist aber ein durchgehendes Element solcher Szenen. Es nutzt nichts, seine Figuren an einen ungewöhnlichen, möglichst einsamen Ort, zu einer doch recht ungewöhnlichen Stunde zu bringen, so lange sie noch alle ihre Sinne beisammen haben. Das wird nicht klappen. Vielmehr muss man dafür sorgen, dass sie etwas gehandicapt sind, wenn man Erfolg haben will. Denkbar wäre da, dass die Sicht schlecht ist, weil es einfach zu dunkel ist oder Nebel aufkommt. Man könnte schlecht hören, aufgrund von den Explosionen, die stattgefunden haben und daher blind im Nebel herumtasten, was dann zu wer weiß was führt.

Natürlich würde niemand so etwas unter normalen Umständen machen. Wenn uns der Nebel die Sicht nimmt, dann bleiben wir brav, wo wir sind, spitzen die Ohren und warten, in der Hoffnung, dass eben jener Nebel sich verzieht. Dann könnten wir wieder normal sehen und sicher unserer Wege gehen. Und um genau das Szenario zu vermeiden, dass die Figuren einfach nur herumsitzen und warten, muss man noch einen Faktor mit hineinbauen: Stress. Stress aus verschiedenen Gründen. Sei es, dass dringend etwas getan werden muss. Ein Freund, der irgendwo in dem Nebel ist, ruft um Hilfe. Die Figur muss ihn retten, koste es, was es wolle, und schon macht sie sich, mit ausgestreckten Armen auf den Weg durch die wabernde Brühe, ungeachtet der Tatsache dass da irgendwo Laternenpfähle, Straßen und Autos oder aber messerschwingende Mörder warten können. Oder es ist eben jeder Mörder, der einem auf der Spur ist und dem man entkommen muss. Und schon rennt man um sein Leben und die Spannung steigt.

Ich hoffe euch hat der Artikel gefallen und wir lesen uns nach den Sommerferien im September wieder, wenn der neue Beitrag um den 13.09.2024 herausgegeben wird. Bis dahin, genießt euren Urlaub.

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