The Practice - Rezension

Okay, ich habe vor Kurzem wieder etwas Geld investiert und mir "The Practice" von Seth Godin besorgt. Bei "The Practice" handelt es sich um einen Schreibratgeber, der Autoren helfen soll, aus ihrer Arbeit das Beste zu machen, ihr Selbstbewusstsein aufzubauen, sich richtig zu verkaufen, und sogar für komplett blockierte Autoren ist Hilfe im Buch zu finden. Alles in allem ein Alleskönner, könnte man sagen. Spannung, Spiel und Verkaufserfolg! Und all das für den recht überschaubaren Preis von circa 14 Euro. Wenn das nicht ein unschlagbares Angebot ist?

Wenn man sich die Rezensionen zu dem Werk ansieht, findet man haufenweise Kommentare von Autor*innen, die mithilfe des Buches entweder gelernt haben, regelmäßig zu schreiben und so ihr Werk vollendet haben, oder solche, die es aus einer Schreibblockade herausgeschafft haben.

Es gibt Künstler, die durch das Buch den Mut gefunden haben, zu ihrem Künstlerdasein zu stehen, sich zu behaupten und nun glücklich leben.

Andere haben gelernt, wie man sich verkauft und können erstmals ihre Kunst davon teilfinanzieren. Allgemein findet man durchweg positive Bewertungen. Deshalb dachte ich, ich probiere es mal. Tief im Tal der Schreibblockade sitze ich ja schon, wenn es etwas gibt, das mir da heraushilft… Warum nicht? Sicher, ich bin sehr skeptisch, aber bei so vielen guten und sehr guten Bewertungen, was kann da schiefgehen? Da muss doch was dran sein, oder? ODER?
Ich meine, nichts ist frustrierender, als wenn man Geld für einen Schreibkurs oder einen Ratgeber ausgibt, nur um am Ende festzustellen, dass man entweder alles schon weiß oder aber das es nicht passt.

Daher habe ich die 14 Euro investiert und … bin wieder einmal enttäuscht worden. Trotz aller Hoffnung auf ein gegenteiliges Ergebnis. Ja… ich weiß, me bad.

Das Buch ist nichts anderes als eine Ansammlung hohler und nicht einmal sonderlich kreativer Motivationssprüche, wie man sie in jedem (vermutlich günstigeren) Kalender findet oder auf Postkarten gedruckt sieht. Es erweckt den Eindruck einer ewigen Einleitung, wenn man sich näher mit ihm beschäftigt. Soll heißen: ganz viele Themen werden kurz angerissen, eine Art Überlick gegeben, aber es gibt keine Auflösung. Ständig wird man angefixt, aber nie wird geliefert. Eben ganz wie in einer Einleigung eines Sachbuches, die einen Überblick, einen kurzen Anriss der zu behandelnden Themen geben soll. Vertieft wird die Sache dann in den kommenden Kapiteln. Problem: hier fehlt der Rest des Buches. Es bleibt bei dem Anriss.

Beispiel gefällig?

Durch das gesamte Buch hindurch spricht Goodin von „the practice“,was ich hier mal frei mit „Methode“ übersetze. Ständig wird darauf hingewiesen, dass man als Künstler*in „the practice“ ernst nehmen, ihr vertrauen und dieselbe relgemäßig anwenden soll.

Gern. Aber was bitte ist denn „the practice“? Wie sieht das aus?

Alles, was man finden kann sind Erfolgsstories von Kolleg*innen die „the practice“ angewendet und den Weg ins Künstlernirvana gefunden haben und nur noch Bestseller produzieren oder wenigstens wieder in die Gänge gekommen sind und seitdem regelmäßig an ihren Projekten sitzen. Was aber „the practice“ ist, ein Wochenplan, ein Monatsplan, mentale Konditionierung, Schreibübungen, Morgenseiten, Brainstormingmethoden, was auch immer, das wird nirgends gesagt. Jetzt bin ich ja jemand, der gern sehen würde, mit wem und was er es zu tun hat und als solchen macht mich das doch etwas skeptisch. Da wird gefordert ich soll irgendwas vertrauen, aber ich weiß nicht mal, was das ist? Schwer. Sehr schwer. Wenn nicht sogar unmöglich, denn wie soll ich etwas befolgen, von dem ich nicht einmal weiß, wie es aussieht?

Zugleich wurde mir auch relativ schnell klar, dass das nicht der einzige Schwachpunkt des Buches ist. Nein, es ist auch noch gespickt mit Wiedersprüchen.

Zum einen wird in dem Buch propagiert, dass, wenn man sich der "Practice" anvertraut, man zwangsläufig erfolgreich sein wird, dass man das Maximum aus sich selbst und dem, was man tut, herausholen soll, getreu nach dem Motto: Go big. Dazu werden dann eine ganze Handvoll hohle und bereits bekannte Tipps gegeben, wie etwa, man solle sich in der näheren Umgebung umsehen, was andere Künstler*innen so machen, was das Publikum möchte, um sich entsprechend anzupassen. Weil, wenn es dem Publikum das Produkt nicht gefällt, wenn es zu besonders ist, was man tut, dann wird es schwer werden, das zu verkaufen. Was wiederum heißt: Keinen Bestseller für dich.

Andererseits wird aber auch mehrfach davon gesprochen, wie individuell jeder ist, dass jeder seinen eigenen Weg hat und man nicht alle über einen Kamm scheren kann, daher kann auch niemand Ratschläge geben, die für jeden passen.

Doch das ist noch nicht das Ende vom Lied.

Godin geht noch weiter und besteht darauf, dass man keinen kommerziellen Erfolg braucht, um erfolgreich zu sein. Erfolg nur an Verkaufszahlen zu messen, sei keine Lösung, besonders nicht in Sachen Kunst, die doch hoch individuell ist und bei der man es nicht jedem recht machen kann, nicht jedem recht machen sollte. Wenn dein Werk allen gefällt, ist es nämlich keine richtige Kunst. Gerade die, die nicht von der Masse geliebt werden, sind die wahren Künstler, für Godin.
Ja, was denn jetzt?

Welchem Weg soll ich denn nun folgen, um erfolgreich zu sein?

Soll ich mich und mein Produkt anpassen oder soll ich weiter tun, was und wie ich es möchte und mich notfalls schmollend und unverstanden in die Ecke zurückziehen und vor mich hinmurmeln, dass wahre Künstler eben noch nie verstanden wurden, während ich von der Hand in den Mund lebe?

Beides gleichzeitig ist kaum möglich.

Und als Leser des Buches bleibt mir nichts anderes übrig, als verwirrt zurückzubleiben, weil konkrete Ratschläge gibt es nicht.

Stattdessen bekommt man eben hohle Sprüche und vor allem jede Menge Zitate an den Kopf geworfen. In jedem zweiten Tipp wird von jemandem berichtet, der die Tricks angewandt hat und am nächsten Tag war die Person total erfolgreich. Warum? Warum werden ständig die Geschichten anderer Leute bemüht? Warum ständig Zitat um Zitat? Hat Godin vielleicht selbst nichts zu berichten? Ist er den Weg, den wir gehen sollen, vielleicht gar nicht selbst gegangen?

Wenn ja, warum sollte ich so jemandem mein Projekt, mein Autorendasein anvertrauen? Jemandem, der offenbar keine Erfahrung von dem hat, mit dem ich jeden Tag zu tun habe?

Aufgrund all dessen, den le(e)hreichen Versprechungen, den andauernden hohlen, sich teilweise widersprechenden Phrasen, nebulösen Sprüchen, hat man bereits nach gut einem Viertel des Buches das Gefühl einem Guru aufgesessen zu sein, der auf Nachfrage nach konkreter Hilfe zum Erreichen der Tranzendenz immer nur das Gleiche leere Wortgeklingel von sich gibt, nämlich: „Trust the practice!“ (bitte vergesst nicht euch auch die hohle Stimme in eurem Kopf einzubilden, die das heraushaucht!) ohne je zu sagen, was das ist, wie das geht.

Wenn mich mal etwas so richtig sauer macht, dann das. Nichts ist wohl schlimmer, als wenn einem jemand sagt, dass man etwas vertrauen soll, das einen dann ans Ziel bringen wird, ohne dass einem klar gemacht wird, was dieses Ding ist oder wie man daran kommt.

Das kann nur schief gehen!

Also, außer für ihn. Klar.

Am Ende, was in Wirklichkeit erst gerade einmal die ersten 90zig Seiten des Buches waren, war es bereits so schlimm, dass mir nichts anderes übrig bliebt als mit dem Lesen aufzuhören. Weil es mich so aufgeregt hat, eine dumme Plattitüde nach der anderen zu lesen. Es ging nicht mehr.

Woher die ganzen guten Bewertungen und Empfehlungen für das Ding kommen ist mir ehrlich gesagt schleierhaft. Wenn ich leere Motivationshüslen möchte hänge ich mir einen entsprechenden Kalender auf, dann habe ich wenigstens noch ein schönes Bild dazu, an dem ich mich sattsehen kann.

Wenn es euch ähnlich mit vielbesungenen Leseempfehlungen jedweder Art gegangen ist, es müssen ja nicht immer nur Schreib- und / oder Selbsthilfebücher sein, dann lasst es mich in den Kommentaren wissen. Oder gern auch wenn ihr ein gutes Buch gefunden habt, das ihr teilen wollt. Immer her damit! Ich lasse mich gern vom Gegenteil überraschen. Und natürlich könnt ihr euch auch sonst in den Kommentaren austoben.

Ansonsten bis in 4 Wochen zum nächsten Thema.

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Happy Buchbirthday!